Auszug aus Seattle Six 2

Zur Überbrückung bis zum Erscheinen vom zweiten Band der SeattleSix-Reihe Kein Schicksal nächste Woche präsentiere ich hier schon mal eine Szene vom Anfang als Appetithappen 🙂


Als Jamie am Montagabend ins Fitnessstudio kam, befand sich Takeo bereits auf dem Laufband. Dem dünnen Schweißfilm auf seiner Stirn nach zu schließen bereits länger als eine Viertelstunde.
Neben ihm war noch ein freier Platz und Jamie hängte sein Handtuch über den Rand der Bedienkonsole, ehe er sich aufs Laufband stellte. So viel er gestern auch auf den Beinen gewesen war, so viele Stunden hatte er heute an seinem Schreibtisch zugebracht, und sein steifer Rücken würde ihm die Bewegung danken.
Normalerweise lief er lieber im Freien und joggte im Discovery Park oder im Queen Anne Greenbelt, falls er keine Lust hatte, ins Umland zu fahren, aber bei dem heutigen Nieselregen war er dankbar, ein Treffen mit Takeo in ihrem Stamm-Studio ausgemacht zu haben.
Sie arbeiteten beide im West Precinct, wenn auch in unterschiedlichen Abteilungen, und dieses Gym lag dem Polizeirevier am nächsten. Deshalb bestanden die Kunden auch zum Großteil aus Cops.
»Hey.« Takeo sah zu ihm, ohne das Tempo zu verlangsamen, und streckte ihm seine Faust entgegen.
»Hi.« Jamie begrüßte ihn mit ihrem üblichen Handschlag und stellte ein gemütliches Tempo zum Aufwärmen ein. Mit einem leisen Surren setzte sich das Band in Bewegung und Jamie ebenfalls. Ohne Surren. »Wie läuft’s?«
»Das Band läuft, ich laufe, im Job läuft’s. Mal besser, mal schlechter. Viel Arbeit, wenig Freizeit, noch viel weniger Zeit für Bekanntschaften. Bei dir?« Er atmete schnell, hatte aber keine Probleme zu reden.
»Ähnlich. Dermaßen viel zu tun, dass ich zwei Wochen durcharbeiten könnte, ohne dass mir langweilig wird. Sehe meine Wohnung nur noch zum Schlafen.«
»Wenn du nicht zu Hause bist, kannst du auch keine Unordnung veranstalten, die du dann wegräumen müsstest.«
»Auch wieder wahr. Mir wäre trotzdem etwas mehr Freizeit lieber. Und weniger Einsätze bei Nacht. Versauen mir komplett meinen Schlafrhythmus.«
»Kenne ich noch vom Streifendienst. War eine grausame Zeit.«
»Ich darf ab nächster Woche meine mir in der College-Zeit mühsam erworbenen Fähigkeiten einsetzen. Wenn ich Glück habe.« Die Geschwindigkeit war so gewählt, dass er noch nicht laufen musste, sondern schnelles Gehen reichte, und er rollte mit dem Schultern, die nach einem langen Arbeitstag verspannt waren.
»Flirten und trinken?«
»Drinks mischen.«
»Hm?« Takeo sah kurz zu ihm. »Du hast wieder einen Nebenjob als Barkeeper angenommen? Willst du auf ein Haus sparen?«
»War nicht meine Idee, sondern Millers.« Jamie zog im Gehen den Kopf in Richtung Schulter, zuerst auf die eine, dann auf die andere Seite. Schmerz schoss seinen Nacken hinauf. »Verdeckte Ermittlungen und so.«
»Oh, dann war der Nebenjob gut angelegte Zeit. Du wirst vom normalen Dienst abgezogen?«
»Vermutlich. Muss aber erst den Probetag hinter mich bringen. Stehe noch auf der Vielleicht-Liste vom Barbesitzer.«
Takeo war klug genug, nicht nachzufragen, um wen es sich handelte, da ihm Jamie ohnehin nichts verraten würde. Was der Mann nicht wusste, konnte er nicht ausplaudern, nicht einmal unbewusst. »Dann wirst du wohl gar nicht mehr in deine Wohnung kommen, oder? Noch weniger Unordnung.«
»Und noch weniger Zeit für ein Privatleben.« Mit einem Seufzen erhöhte Jamie das Tempo und joggte langsam dahin.
Takeo warf einen Seitenblick zu der Frau neben ihm, die gerade vom Laufband stieg. Jetzt waren sie allein in dieser Ecke. »Wie war es mit Gavin?«, fragte er halblaut und sah zu Jamie. Er bemühte sich sichtlich, nicht zu neugierig dreinzuschauen, und versagte ziemlich darin.
»Nett.«
»Nett?« Takeo zog die feinen Augenbrauen hoch und trabte unverdrossen weiter, auch wenn er weiter Jamie anblickte. »Das ist alles, was du mir gibst?«
»Was willst du hören?«
»Details. Alle schmutzigen Einzelheiten. Und von mir aus auch die sauberen.«
»Wir hatten eine schöne Zeit auf der Hütte. Er hat viele Fotos von mir gemacht. Sein Kuchen ist toll.«
»Mein Gott, Jay.« Takeos Schritte blieben gleichmäßig, nur seine Stimme wurde eine Spur lauter. »Lass mich doch nicht verhungern.«
»Ach, du siehst so aus, als stündest du ganz gut im Futter.«
»Gut im Futter?« Takeo klopfte sich auf den Bauch unter dem engen T-Shirt. »Alles Muskeln. Ich verbringe nicht mindestens dreimal die Woche meine spärliche Freizeit hier, weil mir langweilig ist.«
»Sondern weil du mit einen Traumkörper über deinen Mangel an Charme hinwegtäuschen willst?«
»Haha. Ich habe genug Charme für drei Leben. Also?«
Jamie sah geradeaus zum Fenster hinaus. Der Abend wurde von Straßenlaternen, Scheinwerfern und Lampen hinter den Fensterscheiben der gegenüberliegenden Geschäfte und sich darüber befindlichen Wohnungen beleuchtet. Eigentlich wollte er jetzt nur noch heim, unter die Dusche und sich ins Bett verkriechen. Sein Elan von gestern, mit Takeo zu reden, war wie weggewischt und hatte einer umfassenden Müdigkeit Platz gemacht. Sie war zum Teil körperlicher Natur, weil seine Tage anstrengend und seine Nächte kurz waren, aber zum Teil war er einfach geistig erschöpft.
Ständig musste er an seine Familie denken. Diese hatte bereits vor Jahren klargemacht, was sie von Homosexualität hielt. Nämlich nichts. Gar nichts. Und sich vor ihr als schwul zu outen … Er hätte lieber Glasscherben gegessen und mit Säure hinuntergespült.
Er hatte auch viel an Takeo gedacht. Ob dieser wirklich so cool reagieren würde, wie Jamie hoffte. Oder ob er genauso erschüttert von der Erkenntnis sein würde wie Jamie selbst.
Und er dachte ständig an Gavin. Diese Gedanken waren wenigstens zum Teil erfreulich. Zum Teil … nicht einmal das. Denn er machte sich Sorgen, ob er Gavin irgendwie enttäuschen würde, wenn er sein Outing einfach so lange wie möglich hinausschob. Ob der Mann ihn dann fallen lassen würde. Wie viel Zeit Jamie wohl hatte, bis Gavins Geduldsfaden riss und er sich nach einem Mann umsah, der eine weniger komplizierte Familie hatte.
Dabei wusste Gavin noch nicht einmal, wie viel Zeit Jamies Job verschlang, und war von ihm noch nicht versetzt worden, weil Jamie Überstunden machen musste.
Aber er konnte sich auch nicht einfach verkriechen und hoffen, dass es besser werden würde. Mit der Einstellung würde er sich keinen Gefallen tun. Besser war es, sein Leben selbst auf die Reihe zu kriegen. Immer einen Schritt nach dem anderen.
Und so nervig Takeo auch sein konnte, war er doch ein treuer Freund und exzellenter Zuhörer, der durchaus hilfreiche Ratschläge hatte.
Außerdem, wer wusste schon, wann Jamie diese Woche wieder zum Trainieren kommen würde? Also war es besser, diesen Abend, an dem er zur Abwechslung einmal vor sieben Uhr aus dem Büro gekommen war, fürs Training zu nutzen. Und für ein Gespräch unter Männern, weil Takeo ja sonst doch keine Ruhe geben würde. Gavin hatte ein Shooting und daher ohnehin keine Zeit.
Allerdings hätte Jamie sofort alles abgebrochen, sich seine Tasche geschnappt und wäre zu Gavin gefahren, falls dieser ihm sagte, dass sein Kunde den Abendtermin abgesagt hatte.
»Erde an Jamie.«
Er drehte den Kopf und sah Takeo an. »Tut mir leid, war kurz abgelenkt.«
»Das habe ich mitbekommen. Muss ich ernsthaft mehr Details aus dir herausprügeln?«
»Versuch es lieber mit Bestechung. Du hast gestern was von Kuchen erwähnt.«
»Willst du Alkohol, Essen oder meine Hilfe, um deine Wohnung geschmackvoller einzurichten?«
»Die ersten beiden klingen gut.« Jamie sah auf die Uhr auf der Bedienkonsole. »Ich mache dir einen Vorschlag. Du lässt mich eine halbe Stunde in Ruhe laufen, dann setze ich mich noch zwanzig Minuten auf die Ruderbank und danach gehöre ich ganz dir.« Für gewöhnlich trainierte er mit seinem Körpergewicht, aber hin und wieder waren Geräte ganz nützlich.
»Hm, mir wäre ja ein umfassendes Geständnis gleich lieber, aber bitte.« Das Laufband surrte schneller, als Takeo das Tempo erhöhte. »Diese Stunde werde ich schon noch aushalten. Essen im Pink Panther?«
»Wenn es sein muss.« Jamie war nicht wirklich ein Fan des Restaurants. Zu viel Rosa, zu viele Plastiktiere, zu viele Topfpflanzen.
»Das Essen dort ist toll, die Kellner sind süß und die Cocktails leistbar. Außerdem liegt es um die Ecke.«
»Ich komme mir dort jedes Mal wie im Dschungel vor.«
»Als wärst du schon einmal im Dschungel gewesen.«
»Gut, dann ins Panther.« Immerhin war das Essen dort wirklich gut und er musste zu Hause nichts mehr zubereiten.
»Beantworte mir als Appetithäppchen wenigstens eine Frage.«
»Nein.«
»Bitte.« Takeo hatte die Unterlippe vorgeschoben und blickte ihn mit großen Augen an.
Lachend schüttelte Jamie den Kopf. »Du bist unmöglich.«
»Und so liebenswert, dass du mir eine Antwort geben willst.«
»Na schön.«
Takeos gleichmäßige Schritte bildeten den Hintergrund zu seiner halblauten Frage. »Habt ihr gevögelt?«
»Ts ts. Noch direkter ging es wohl nicht, oder?«
»Ach, ich dachte mir, ich lasse dich das gleich ausschließen, dann kann ich in Ruhe weiterlaufen.«
»Ja.«
»Was ja?«
»Ja, wir haben miteinander gevögelt.«
Aus dem Augenwinkel sah Jamie, wie Takeo mit offenem Mund stehen blieb.
Im Gegensatz zum Laufband.
Im nächsten Moment verschwand der Mann aus Jamies Sichtfeld.
Im übernächsten ertönte ein Rumpeln und ein Fluch.
Als Jamie den Kopf nach hinten drehte, saß Takeo vor dem Ende des Laufbands auf dem Hintern und starrte ihn fassungslos an.
Jamie richtete den Blick wieder auf die Fensterfront vor sich und lief ungerührt weiter.


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